Zur Haftung eines Physiotherapeuten für Patientenunfall in seiner Praxis

LG Düsseldorf, Urteil vom 08.03.2012 – 3 O 255/11

Zur Haftung des Physiotherapeuten, wenn ohne dessen Wissen ein Patient versucht, ohne Hilfestellung eine Massageliege zu erklettern, hierbei stürzt und sich hierdurch verletzt.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Klägerin.

Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Sicherheitsleistung kann auch durch die unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer Bank oder öffentlichen Sparkasse mit Sitz auf dem Gebiet der Europäischen Union erbracht werden.

Tatbestand
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Die Beklagte zu 2. ist als ausgebildete Physiotherapeutin Angestellte der ***; diese betreibt in den Einrichtungen der Beklagten zu 1 eine (selbständige) Physiotherapeutische Abteilung. Im Verlauf der streitgegenständlichen stationären Behandlung im Klinikum der Beklagten zu 1. stellte die 1940 geborene Klägerin sich am 13. April 2011 in dieser Abteilung vor (Kabine E). Die Klägerin, die 1,46 Meter groß ist und an einer rheumatischen Erkrankung (die auch ihre Hände betrifft) leidet, versuchte sich, ohne die Inanspruchnahme der Hilfe der Beklagten zu 2. auf die Massageliege hochzuhieven; hierbei kam die Klägerin zu Fall und verletzte sich schwerwiegend (Fraktur des Handgelenkes).
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Dazu behauptet die Klägerin, dass die besagte Liege zwar „ganz runter gestellt gewesen sei“; aufgrund ihrer körperlichen Konstitution sei es für sie jedoch sehr schwierig gewesen, die Liege zu besteigen; die Beklagte zu 2. habe sich zu diesem Zeitpunkt unstreitig zwar ebenfalls in der Kabine befunden; sie sei jedoch den Rücken zu ihr (der Klägerin) gewandt mit Schreibarbeiten befasst gewesen. Deshalb habe sie nicht darauf reagiert, als sie (die Klägerin) bemerkt habe: „Ich komm nicht rauf“. Sie (die Klägerin) sei daraufhin zu dem Entschluss gekommen, es weiterhin zu versuchen, die Liege ohne die Mithilfe der Beklagten zu 2. zu erklettern. Sie (die Klägerin) habe sich bei diesen Bemühungen unter an dem auf der Liege angebrachten Spanntuch festhalten wollen; dieses habe sich jedoch losgelöst, woraufhin sie rücklings in eine Bewegung geraten sei, die ungewollt einem „Salto Mortale“ entsprochen habe. Hierbei habe sie sich die streitgegenständliche Fraktur zugezogen.
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Die Klägerin ist der Rechtsauffassung, dass die Beklagten ihr für dieses Schadensereignis gesamtschuldnerisch zur Haftung verpflichtet seien.
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Da die Beklagten jegliche Haftungsverpflichtung ablehnen, beantragt die Klägerin,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie (die Klägerin) ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 3.000,– €, dessen genaue Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, sowie 2.427,25 € (materieller Schaden) zu zahlen, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2011;
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weiterhin festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr allen künftigen materiellen und immateriellen Schaden, der ihr anlässlich der Behandlung vom 13. April 2011 gegen 17:10 Uhr in den Räumen der *** entstanden ist, zu ersetzen, soweit nicht Forderungsübergang auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte stattfindet.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie tragen im Wesentlichen vor, dass die Klägerin sich bereits mehrere Male zuvor in der Physiotherapeutischen Behandlung der *** befunden habe; die Klägerin habe daher gewusst, dass in der in Rede stehenden Kabine (immer) ein Fußbänkchen bereit gehalten werde, das sie zum Besteigen der Liege hätte benutzen können. Die Beklagte zu 2. habe am 13. April 2011 gar nicht mitbekommen, dass die Klägerin versucht habe, ohne die Inanspruchnahme dieses Fußbänkchens sich auf die Massageliege zu legen; die Beklagte zu 2. habe dies erst bemerkt, nachdem die Klägerin bereits zu Fall gekommen sei, ohne dass die Beklagte zu 2. noch habe eingreifen können. Unabhängig davon, dass die Physiotherapeutin rechtlich keine Haftungsverpflichtung treffe, handele es sich bei den Physiotherapeutischen Einrichtungen im Gebäude der Beklagten zu 1. zudem um eine rechtlich selbständig agierende Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH); eine Mithaftung der Beklagten zu 1. als Vermieterin diese Räumlichkeiten scheide daher von vornherein aus; die Beklagte zu 2. sei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt als ihre (der Beklagten zu 1. Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfin tätig gewesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst den zugehörigen Anlagen, die dem Gericht vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
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Die Klage ist als in der Hauptsache unbegründet abzuweisen, §§ 253, 280, 611, 278, 823, 831 BGB.

I.
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Aufgrund des unstreitigen Sachverhaltes sowie des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme ergibt sich, dass die Klägerin nicht den prozessrechtlich ihr obliegenden Nachweis zu erbringen vermochte, dass sich das Sturzereignis nebst den gesundheitsschädigenden Folgen deshalb zugetragen hat, da die Beklagte zu 2. vorwerfbar nicht ihren Obhut- und Fürsorgepflichten als Therapeutin im Zusammenhang mit der durchgeführten bzw. noch (beabsichtigt) durchzuführenden physiotherapeutischen Behandlung der Klägerin nachgekommen ist.
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1. Zu diesen Pflichten hätte es zwar auch gehört, der Klägerin durch eine entsprechende Hilfestellung ein problemloses Besteigen der streitgegenständlichen Liege zu ermöglichen, indem die Beklagte zu 2. die Klägerin entsprechend umfasst und gestützt oder das besagte Fußbänkchen, das die Klägerin am Tag des Unfallereignisses zumindest nicht entdeck hatte, für sie bereit gestellt hätte.
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Die Klägerin hat im Rahmen ihrer gerichtlichen informatorischen Anhörung jedoch selbst vorgetragen, dass die Beklagte zu 2., als sie (die Klägerin) versuchte, ohne eine Hilfestellung der Beklagten zu 2. die Liege zu besteigen, noch mit Schreibarbeiten befasst gewesen ist und ihr (der Klägerin) den Rücken zugekehrt hatte; aufgrund dessen konnte die Beklagte zu 2. die Vorgänge, die hinter ihrem Rücken passierten, nicht im Einzelnen verfolgen. Sie hatte daher unwiderlegt gemäß ihrer Einlassung nicht wahrgenommen, dass die Klägerin an diesem Tag versuchte, ohne die Inanspruchnahme des Fußbänkchens die Liege zu besteigen.
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Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass dieses Bänkchen sich an dem Tag des Sturzereignisses tatsächlich nicht in der Kabine befunden hat, wäre die Klägerin dennoch in Wahrnehmung ihrer eigenen Obliegenheiten und Interessen zu ihrem Selbstschutz, zu dessen Beachtung sie rechtlich gehalten gewesen ist (§ 254 BGB), verpflichtet gewesen, die Beklagte zu 2. eindeutig darauf aufmerksam zu machen, dass sie (die Beklagte zu 2.) ihr (der Klägerin) bei dem Besteigen der Liege in jedem Fall helfen müsse, da die Klägerin erkannt hatte, dass sie aufgrund ihrer Körpergröße und ihrer krankheitsbedingt eingeschränkten Kraft nicht in der Lage war, sicher ohne die Hilfe anderer auf die Liege zu kommen. Um das Risiko eines Sturzes zu vermeiden, hätte die Klägerin daher davon absehen müssen, wie sie selbst insoweit offengelegt hat, bewusst auf die Hilfe der Beklagten zu 2. zu verzichten. Sie (die Klägerin) hätte vielmehr solange warten müssen, bis die Beklagte zu 2. ihre Schreibarbeiten beendet gehabt hätte, um sich sodann ihr (der Klägerin) zuwenden zu können.
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Das Mitverschulden der Klägerin an der Herbeiführung des von ihr erlittenen Sturzes überwiegt daher ein etwaiges Fehlverhalten der Beklagten zu 2., das allenfalls darin zu sehen ist, dass sie sich der Klägerin, nachdem diese die Kabine betreten hatte, nicht sofort zuwandte, sondern zuerst ihre (der Beklagten zu 2.) Schreibarbeiten erledigen wollte, derartig bedeutsam, dass die von der Beklagten zu 2. zu vertretenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge dem gegenüber im Wesentlichen völlig zurücktreten.
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Die Beklagte zu 2. musste seinerzeit nicht damit rechnen, dass die Klägerin es versuchen könnte, die Liege in der von ihr selbst im Rahmen ihrer informatorischen gerichtlichen Anhörung beschriebenen selbstgefährdenden Weise zu besteigen, sie insbesondere auch den Versuch unternehmen würde, sich an dem an der Liege befestigten Spanntuch festhalten, um sich an diesem hochzuziehen. Dieses Spanntuch war, wie die Klägerin sofort hätte erkennen können und müssen, gemäß seiner Funktion nicht dafür vorgesehen oder geeignet, um sich an diesem festzuhalten und/oder hochzuziehen.
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Eine Haftung bzw. Mithaftung der Beklagten zu 2. scheidet daher nach jeglichem rechtlichen Gesichtspunkt aus.
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2. Zudem ist auch die Beklagte zu 1. der Klägerin nicht zur Haftung (mit-)verpflichtet.
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Die Einrichtungen, in denen sich die Klägerin physiotherapeutisch hat behandeln lassen, werden gemäß dem Prozessvorbringen der Beklagten zu 1. von der Fa. *** als selbständige Rechtspersönlichkeit betrieben; etwas anderes hat die Klägerin jedenfalls nicht nachgewiesen; sie hat vielmehr bezogen auf die Zustellung der Klage selbst als Anschrift diejenige der *** angegeben (als Arbeitgeberin der Beklagten zu 2.).
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Demnach betreffen etwaig bestehende Haftungsansprüche im Zusammenhang mit den in den Einrichtungen der GmbH durchgeführten Physiotherapien nicht die Beklagte zu 1., sondern allenfalls die Arbeitgeberin der Beklagten zu 2. Weder diese ( die *** ) noch die Beklagte zu 2. sind jedoch als Erfüllungsgehilfin der Beklagten zu 1. tätig geworden; die in Rede stehende physiotherapeutischen Übungen erfolgen gemäß dem festzustellenden Sachverhalt vielmehr auf der Grundlage eines selbständigen Behandlungsvertrages zwischen der Klägerin und der Fa. ***.
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Letztlich hat sich auch nichts dafür ergeben, dass die Beklagte nach deliktrechtlichen Haftungsgrundsätzen für die der Klägerin im Zusammenhang mit dem Sturzereignis erlittenen materiellen und immateriellen Schäden zur Zahlung eines Schmerzensgeldes bzw. zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet sein könnte.
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Die Klage ist daher aufgrund dieses unstreitigen Sachverhaltes sowie auch gemäß dem Ergebnis der vollständig zu dem aufzuklärenden Haftungsgrund durchgeführten Beweisaufnahme insgesamt unbegründet und abzuweisen.

II.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 100, 709, 108 ZPO.
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Streitwert: bis zu 10.000,– €

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